Veröffentlichungsjahr: 2005 Diskographische LabelPremium Records PRE 007 – 

Soulfood Music Distribution GmbH

Ich habe Rosas Stimme im Alter von ca. 14 Jahren kennengelernt. Jemand gab mir eine Kassette mit einigen Liedern von ihr darauf. An diesem Tag hatte ich die Grippe und tat nichts anderes als diese Kassette zu hören. Ich war beeindruckt von der Essentialität des Gesangs, der direkt ans Leben in seiner ganzen Unbedingtheit gebunden erschien. Es blieb, vielleicht wegen des Fiebers, wie eine “innere Narbe” in mir. Bei der einzigen Gelegenheit, die ich dann hatte, Rosa im Konzert zu hören, war ich wieder im Bett mit Fieber. Von diesem Moment an habe ich mein Kenntniss über Rosas Repertoire vertieft und widmete meine Aufmerksamkeit der traditionellen sizilianischen Musik. Als ich mich später für andere Musikgenres interessierte, hörte ich nie auf, die Stimme von Rosa und ihre Eigenart als einen Teil der gesamten Musik zu verstehen. Ich fand Parallelen zu ihren wütenden Gesängen in der rauhen Interpretation von Billie Holiday, die in “Strange Fruit” die Leichen der an den Bäumen hängenden Sklaven beschreibt. Rosa war für mich eine von diesen Sängerinnen, wenn sie das Gefängnislied “Nda la vicaria” schrie oder das Klagelied der Schwefelarbeiter in “Caltanissetta fa quattru quarteri” sang. Diese Lieder sollten nicht nur ein Schatz für wenige Auserwählte bleiben, dachte ich damals. Diese Kultur, diese Musik musste gepflegt, respektiert und vor allem gesungen werden, damit sie von allen gehört werden kann. Ich fühlte mich allerdings ziemlich einsam mit diesen Gedanken, also legte ich Rosas erste Kassette in eine Schublade hinein. Doch nach vielen Jahren Erfahrung und persönlicher Entwicklung klopfte dieser “Traum in der Schublade” wieder bei mir an. Ich wollte irgendwie glauben, dass es Rosa selbst war, sie, die in ihrem Testament “Wenn ich sterbe, wünsche ich mir, dass meine Lieder weiter gesungen werden” gesungen hatte. Je öfter ich jetzt an Rosas Gesang dachte, desto öfter schenkte mir der Zufall schöne Geschichten: vor allem jenen unvergesslichen Januarabend in Villa Virginia, wo nun dieses Projekt geboren werden sollte: Als ich bei Milli und Leoluca Orlando (Menschen mit einer außergewöhnlichen Feinfühligkeit, die an eine kulturgeprägtes Sizilien glauben) zu Gast war, luden sie einige Freunde ein, darunter auch solche, die Rosa Balistreri gekannt hatten. Ich sang ihre Lieder und wir sprachen von ihr. An diesem Abend in Villa Virginia erinnerte ich mich wieder an das Fieber und daran, dass ich sie nie auf der Bühne erlebt hatte. Zugleich entstand in mir der Wunsch, für sie ein Fest zu feiern, ein Fest mit vielen Freunden. Aus dieser Idee wurde ein konkreter Vorschlag an das Orchestra Sinfonica Siciliana, ihr ein Konzert mit ihren Liedern zu widmen, an einigen von diesen herrlichen offenen Orten, wo normalerweise die Kraft einer Verdi-Arie Widerhall findet. Bei den Proben und Konzerttagen hatte ich dann vor allem die Gelegenheit, wunderbare Menschen kennenzulernen. Jeder erzählte mir seine Erinnerungen an Rosa, aber auch von der Beziehung zur eigenen Kultur. Am Premierenabend in Palermo spürte ich, mit meiner Vergangenheit voller Reisen, Bühnen und unterschiedlichster Zuhörer, eine unerwartete und doch bekannte Gänstehaut. Es war “Rosas wunderbares Fieber”, das mich seitdem nicht wieder verlassen hat. Etta Scollo Amburgo, 12.09.2004 Am 20. September 1990 starb Rosa Balistreri in Palermo, eine der kräftigsten und bedeutendsten Stimmen unserer volkstümlichen Tradition. Seit 1964, als Rosa Balistreri zum “Festival della Canzone Popolare” in Salerno eingeladen und zusammen mit Giovanna Daffini mit einem Preis ausgezeichnet wurde, war sie auch eine der Hauptfiguren des Folk Revival, das sich in Italien zwischen den ’60er und ’70er Jahren entwickelte. Sofort wurde sie eine der umjubeltesten Persönlichkeiten der Wiederentdeckung der Volksmusik, die in jenen Jahren Furore machte. Eine Art offizielle Anerkennung bekam sie, als sie vom “Nuovo Canzoniere Italiano” eingeladen wurde, an Dario Fos «Ci ragiono e canto» teilzunehmen: Ein entscheidender Moment, eine Art “gesungenes Manifest” der neuen Bewegung. Die zerrissene Authentizität ihrer Stimme, von dunklem Timbre, energisch und von intensiver Dramatik, machte aus ihr ein Symbol jener polemischen und kämpferischen Jahre, in denen ein großes Interesse für die reiche und vielseitige volkstümliche Kultur wiedererwachte. Ihre Interpretationen, rigoros, rein, wie in Stein gemeißelt, stellten eine Verbindung her zwischen der Spannung des Gesangs und der Geschichte und dem Schicksal eines Volks, des sizilianischen Volks. Ihr Gesicht, wie von einem uralten ununterdrückbaren Kummer gezeichnet, erschien als die suggestivste Darstellung des Leids und der Armut, von dem ihre Gesänge handelten, die aus der gleichen ländlichen Tradition wie sie selbst stammen. Es ist nicht nur eine soziale und kulturelle, sondern geradezu eine bürgerliche Pflicht, an Rosa Balistreri und an all die Dichter, Literaten, Theaterleute, Puppenspieler, Geschichtenerzähler («cuntisti») zu erinnern, die das beste unserer Tradition und kulturellen Wurzeln vertreten, aber auch an all die Wissenschaftler (Pitrè, Salamone Marino, Cocchiara, Vigo, Uccello, Favara, Feliciotto und andere), die ihr ganzes Leben der Aufbewahrung des Andenkens für kommende Generationen gewidmet haben. In diesem ehrenwerten Versuch einer kulturellen Wiederbelebung hat die Stiftung des Sizilianischen Symphonieorchesters ein interessantes Projekt der aus Catania stammenden (und seit Jahren in Hamburg lebenden) Sängerin und Autorin Etta Scollo genehmigt und in Auftrag gegeben, mit den Titel «Canta Ro’!» genehmigt (so die Aufforderung des Dichters Ignazio Buttitta an Rosa Balistreri zu singen), und es in die Sommersaison an den verschiedenen «historischen Aufenthalten und Kunstorten» eingefügt. «Canta Ro’!» (Untertitel: «Rosa, die letzte Sängerin Siziliens») wurde im Hof der Regionalbibliothek in Palermo uraufgeführt, dann im Hof des Erzbischofs in Cefalù sowie in der Gartenanlage der dreihundert Jahre alten Villa Spedalotto in Bagheria wiederholt. Dirigiert hat der angesehene Maestro Angelo Faja. Es war ein außerordentlicher Erfolg, fast unerwartet für ein Projekt, für das es tausend Schwierigkeiten zu befürchten gab, musste man doch die ausdrucksstarke Welt der Balistreri in eine symphonische Orchestrierung übersetzen, mit der Gefahr, in vorhersagbare Imitation zu fallen. Die Intelligenz der Scollo hat diese Gefahr vermeiden können: Sie präsentierte glänzende unveröffentlichte Arrangements, die sie gemeinsam mit Musikern in Hamburg erarbeitet hatte, und sie vermied jede Nachahmung der Stimme und des Gesangs der Balistreri. Das musikalisches Projekt (“das ist das Projekt meines Lebens” sagte sie bewegt zum Publikum) stieß auf großes Interesse bei Maestro Faja und den Professoren des Orchesters, die der zierlichen Musikerin mit der wunderbaren Stimme und dem heute immer selteneren Pathos ihre Hochachtung zollten. Ohne den Geist zu verraten, mit dem die Balistreri ihre Balladen sang, hat Etta Scollo einen eigenen sehr persönlichen Interpretationsstil erschaffen (auch durch die Anwesenheit des Multiinstrumentalisten Fabio Tricomi als Gastmusiker), der ihrer eigenen Stimme und deren Eigenheiten entspricht. Die Stücke reichen von «Quantu basilicò», «U cunigghiu», «Lu focu di la paglia», «A Curuna» über die Gefängnislieder wie «Lu libbru di li nfami», «Nda la Vicaria» bis hin zu Ignazio Buttittas Manifest gegen Herrschaft und Ausbeutung «Li pirati a Palermu», um mit dem herzzerreißenden «Quannu moru» zu enden, dem eigentlichen und wahren spirituellen Testament der Balistreri. «Dafür wollte ich an sie erinnern» sagte Etta Scollo. Pippo Ardini Ich habe Rosa Balistreri in Florenz vor ca. 22 Jahren kennengelernt, im Haus eines Malers, eines Freundes von mir. An diesem Abend sang Rosa Balistreri das “Lamento für den Tod von Turiddu Carnivali”, ein kleines Gedicht von mir. Jenen Abend werde ich nie vergessen. Rosas Stimme, ihr erstickter Gesang, dramatisch, angstvoll, es schien, als ob er aus der verdorrten Erde Siziliens hervorkam. Ich hatte das Gefühl, sie immer gekannt zu haben, ihre Geburt gesehen und das ganze Leben gehört zu haben: ein Kind, barfuß, arm, Frau, Mutter, denn Rosa Balistreri ist eine fantastische Gestalt, ich möchte sagen ein Drama, ein Roman, ein Film ohne Gesicht. Rosa Balistreri ist eine Gestalt, die auf einem Seidenfaden balanciert, eine Gestalt, die ein Herz für alle hat, die alle liebt, ein altes, uraltes Herz für das Sizilien von Vittorini und Quasimodo, ein junges Herz für das Sizilien von Guttuso und Leonardo Sciascia. 22-10-1984 Ignazio Buttitta.

Etta Scollo

TRACKLIST (Songtexte) QUANTU BASILICÒ (QUANTO BASILICO) (05.16) U PUMU (LA MELA) (03.24) L’ANATRA (04.19) CU TI LU DISSI (CHI TE LO HA DETTO) (03.20) U CUNIGGHIU (IL CONIGLIO) (04.36) NTRA VIDDI E VADDI (TRA VILLE E VALLI) (03.48) I PIRATI A PALERMU (I PIRATI A PALERMO) (04.29) / hören Sie den Song ROSA CANTA E CUNTA (ROSA CANTA E RACCONTA (04.32) / hören Sie den Song LU LIBBRU DI LI NFAMI (IL LIBRO DEGLI INFAMI) (03.51) / hören Sie den Song NTA LA VICARIA (DENTRO LA VICARIA) (00.54) LO FOCU DI LA PAGGHIA (IL FUOCO DELLA PAGLIA) (06.51) / hören Sie den Song A CURUNA (LA CORONA) (05.56) / hören Sie den Song QUANNU MORU (QUANDO MUOIO) (06.26) / hören Sie den Song

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